Zachäus erzählt

Vorgeschmack der Ewigen Seligkeit

Anlage 27.a

 

Die Enkelin bettelte: „Opa, kannst Du noch mal die Geschichte von Jesus erzählen?“ „Ach Kind, die habe ich Dir doch schon dreimal erzählt.“ „Egal, Opa, die Geschichte ist so schön!“ „Also gut“, sagte der Großvater, „wir haben ja Zeit; dann mache ich es diesmal ganz ausführlich.“

Und Zachäus begann:

Wie doch zwölf Stunden ein ganzes Leben verändern können! Zwölf Stunden war Jesus in meinem Haus, war der Himmel in meinem Haus!

Es war gegen 17.00 Uhr. Ich saß im Büro, da sah ich durch das Fenster, dass die Straße ungewöhnlich belebt war. Viele Menschen gingen vorbei, alle strömten in dieselbe Richtung. Neugierig trat ich auf die Straße hinaus, um zu erfahren, wohin sie wollten. Ich sprach die Vorübergehenden an, aber alle wichen mir aus. Natürlich, es war sinnlos, sie zu fragen, ich war ja verhasst in der ganzen Stadt.

Schließlich erfuhr ich es doch, von einem meiner Angestellten. Er sagte: „Haben Sie es nicht gehört? Jesus von Nazareth ist in Jericho. Seit heute Mittag redet die ganze Stadt von nichts anderem. Er hat den blinden Bettler Bartimäus geheilt. Der folgt ihm jetzt und erzählt allen, was ihm widerfahren ist.“

Jesus von Nazareth – ich hatte schon so viel von ihm gehört! Er musste ein wunderbarer Mensch sein, man erzählte Unglaubliches von ihm, dass er Kranke heilte und Tote auferweckte. Dass er ganz anders von Gott erzählte, als die Pharisäer und Schriftgelehrten, dass er sich nicht scheute, Aussätzige zu berühren, und dass er Kinder den Erwachsenen als Vorbild hinstellte. Was mich aber am meisten beeindruckte, war, dass man sagte, er habe ein Herz für die Kleinen, die Armen und Ausgestoßenen. Zu ihnen gehörte ich ja auch. Es hieß sogar, er habe einen ehemaligen Zolleinnehmer unter seine Jünger aufgenommen.

Ich musste ihn sehen. Aber wie? Mir war klar: In der Menschenmenge hatte ich keine Chance. Ich bin doch nur 1,52 m groß, fast alle überragen mich an Körpergröße. Da fiel mein Blick auf die Sykomore gegenüber von meinem Haus. Du weißt, die Sykomoren haben besonders dichtes Laub, darin kann man sich gut verstecken. Ich wollte ja von den Leuten nicht gesehen werden. Die Frage war nur: Würde Jesus hier überhaupt vorbeikommen? Die Menschen strömten offenbar zur großen Synagoge, dort musste er jetzt sein. Ich schloss mich ihnen an.

Plötzlich ging eine Bewegung durch die Menge. Von vorne erschallten Rufe: „Zurück, zurück! Jesus kommt hierher!“ Das war meine Chance. So schnell ich konnte, kletterte ich in den Baum und setzte mich auf einen Ast. Es war ein dicker, starker Ast. Ich bin ja nicht schwer, so konnte ich noch ein bisschen nach vorne zur Straße hin rutschen.  Das Laub schützte mich vor den Blicken der Menge, ich selber aber konnte gut sehen.

Mein Herz klopfte zum Zerspringen. Irgendwie spürte ich, dass etwas ganz Großes auf mich zukam. Mir brannte das Herz.

Es dauerte eine gute Viertelstunde, da sah ich, wie die Menge sich um einen Mann drängte. Das musste Jesus sein. Mehrere Männer versuchten, so gut es ging, Jesus den Weg frei zu machen. Später, nachdem ich mich der Gemeinde der Christen angeschlossen hatte, habe ich sie persönlich kennen gelernt, es waren die Apostel.

Die Gruppe kam immer näher, und dann sah ich IHN.

O welch ein Augenblick! Er war von hohem, majestätischem Wuchs, sein Antlitz strahlte eine große Würde und zugleich eine ganz tiefe Güte aus. Unser Apostel Paulus hat es später so wunderschön ausgedrückt:  „In ihm erschien uns die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes.“ (Tit 3,4)

Als der Herr mir ganz nahe war, schaute er plötzlich auf. Woher wusste er, dass ich in dem Baum saß? Er konnte mich nicht gesehen haben, aber sein Blick suchte nicht lange, er fand mich sofort. Ich zitterte am ganzen Leib.

Weißt Du, jahrelang war ich von den Menschen gemieden worden, ausgestoßen aus der Gemeinschaft meines Volkes, bisweilen spuckte man vor mir aus. Und jetzt traf mich sein Blick mit unbeschreiblichem Ernst und zugleich mit einer Wärme, die mich erbeben machte. Und dann sprach er zu mir: „Zachäus, steig schnell herunter, denn heute muss ich in deinem Hause bleiben.“

Ich glaubte zu träumen. Im ersten Moment konnte ich überhaupt nicht reagieren. Die Menge war ganz still geworden. Da rief plötzlich einer: „Nun komm schon runter, er ruft dich!“ Kannst Du Dir vorstellen, wie schnell ich unten war? Das letzte Stück sprang ich hinab. In diesem Moment erhob sich ringsum ein Gemurmel. In meiner Nähe sagte einer leise: „Was soll das? Weiß ER nicht, was das für einer ist? Bei dem will ER bleiben? Wir müssen IHN aufklären!“

Ich aber war überwältigt. Es durchströmte mich heiß. Schlagartig erkannte ich in aller Klarheit, dass die Leute Recht hatten. Wie viele hatte ich betrogen, ausgebeutet, erpresst und eingeschüchtert! Ich hatte Gebühren eingetrieben, die überhöht waren, Gebühren, die vom Gesetz nicht gedeckt waren. Wenn jemand nicht zahlen wollte, hatte ich ihn mit meinem Hund bedroht,

Und ich sagte zum Herrn – vielmehr nicht ich, sondern mein besseres Ich; es war erwacht unter dem forschenden und gütigen Blick Jesu: „Herr“, sagte ich, „die Hälfte meines Vermögens werde ich den Armen geben, und die ich ausgebeutet habe, denen werde ich es vierfach erstatten!“

Die Menge starrte mich böse an, keiner glaubte mir, aber Jesus nahm mich in Schutz und sagte zu der Menge: „Auch er ist ein Sohn Abrahams!“

Dann gingen wir in mein Haus. Haus? Es war eine Villa. Schon die Eingangshalle war größer als das einfache Häuschen, in dem ich jetzt wohne. Alles war mit Marmor ausgelegt und mit kostbaren Teppichen geschmückt. Im Innenhof sprudelte das Wasser des Springbrunnens in ein mosaikbesetztes Becken. Ja, ich war reich, aber der ganze Reichtum war unrechtmäßig erworben. Mein Palast erschien mir plötzlich ganz fremd, der Reichtum wie mein persönlicher Feind. Immerhin hatte er an diesem Abend ein Gutes: Ich konnte Jesus fürstlich bewirten. Freilich aß er nur sehr maßvoll.

Drei Stunden haben wir uns unterhalten. Jesus ging früh zu Bett. Alles, was er gesagt hat, habe ich noch am selben Abend aufgeschrieben. Eines aber ist für mein weiteres Leben am wichtigsten geworden: Jesus sprach von der Angst, die wir in diesem Leben haben. Wie gut kannte ich dieses Gefühl! Angst, immer Angst vor den Menschen, obwohl ich doch so mächtig war. Und dann sprach er vom himmlischen Gastmahl.

Das war etwas ganz Neues für mich. Ich wusste zwar, dass die Pharisäer behaupteten, es gebe eine Auferweckung der Toten. Aber die Priester am Tempel sagten, das sei eine Erfindung, in den fünf Büchern Mose stehe nichts davon. Ich kümmerte mich nicht weiter darum, das war für mich Theologengezänk. Aber jetzt, in der Gegenwart Jesu, gewann die Lehre der Pharisäer plötzlich Farbe. Sie gewann eine Aktualität, die bestürzend war. Er sprach von der Auferweckung der Toten, dass sie zum Vater zurückkehren, und er sprach wie einer, der ihn selbst gesehen hat. Und er hatte ihn ja wirklich selbst gesehen. Er kannte den Vater, weil er vom Vater kam und weil der Vater ihn gesandt hatte.

Der Himmel, die Ewige Seligkeit – ein Festmahl: Das hat sich mir eingeprägt. Jedesmal, wenn wir am Tag der Auferstehung zusammenkommen und miteinander das Brot brechen, steht mir dieses Bild vor Augen: Jesus mit seinem ernsten und gütigen Blick, in dem mir Gott  selbst begegnete. Und wie er vom himmlischen Festmahl sprach.

Weißt Du, ich bin jetzt alt, ich habe nicht mehr lange zu leben. Aber das schreckt mich nicht, im Gegenteil, ich freue mich darauf, Jesus wiederzusehen, ihn, der zwölf Stunden in meinem Hause war. Das ist Ewige Seligkeit - bei ihm zu sein und Gott von Angesicht zu Angesicht zu schauen.

Solange es aber noch nicht so weit ist, ist jede Eucharistiefeier für mich ein Vorgeschmack der Ewigen Seligkeit, denn ich begegne ihm ja, auch wenn er sich verbirgt in der Brotsgestalt.

 

Nach der altchristlichen Tradition machte Zachäus Ernst: Er verkaufte die Hälfte seines Vermögens und gab den Erlös den Armen. Er lebte fortan einfach, schloss sich der christlichen Gemeinde an und wurde Bischof von Cäsarea. (Q 1)

 

Es folgt die Bildbetrachtung.

 

Quellen

(Q 1) Walter Grundmann, Das Evangelium nach Lukas, Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament, Evangelische Verlagsanstalt GmbH Berlin, 7. Auflage 1974, S. 359